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raum, zeit und wahrnehmung

von Roland Klimpel

Raum und Zeit, das wusste schon Immanuel Kant, sind nicht Ergebnisse, sondern Voraussetzungen jeder Erfahrung. Oder moderner ausgedrückt, sind sie eine von der menschlichen Art evolutionär erworbene Erfahrung. Wenn sie also in diesem Sinne angeboren sind, kann man denn dann „Raum- und Zeitwahrnehmung“ überhaupt üben?

Im Aikido gibt es das Konzept des „Ma-Ai“, der harmonischen Distanz (jap. ma = Raum, jap. ai = Harmonie). Auch in traditionellen japanischen Tuschzeichnungen findet sich oft ein „leerer Raum“ neben Blütenzweigen und zwei Versen. Hier hinein kann man imaginieren, projizieren. Das, was „nicht ist“, ist hier ebenso wichtig, wie das, was ist. In diesen leeren Raum kann man etwas „hineingeben“ und in diesem Sinne mag der leere Raum auch als Zukunft (also zeitlich) gesehen werden.

Das, was im Raum zwischen zwei Aikidoka geschehen kann, ist zwar nicht determiniert, aber keineswegs unabhängig von der Distanz und dem Vermögen, diese in bestimmter Zeit zu überbrücken. Was hier gleich geschehen wird, kann imaginiert, „antizipiert“ werden, aber diese Imagination wird sich mit jeder Bewegung ändern …

In diesem Sinne ist schauendes Wahrnehmen des Raumes als ein „sphärisches Um-mich-Herum“ hilfreicher als ein fixierendes Sehen. Was geht in alle Richtungen, wenn ich nichts sehen kann?

Kann man also Raum- und Zeitwahrnehmung üben? Die 3 Ebenen des anschaulichen Raumes (waagerecht, senkrecht, vorn-hinten; manche nennen das „euklidisch“…) sind im Gleichgewichtsorgan unseres Innenohres fest installiert. Die ausschlaggebenden 3 Bogengänge stehen senkrecht zueinander, wie „x-, y- und z- Achse“ im Physikunterricht. Können wir also den Raum anders als dreidimensional wahrnehmen?

Dass wir die Zeit nur als Fluss in eine Richtung wahrnehmen können, ist wohl auch biologisch festgelegt.
Nun aber ist Wahrnehmung kein rein passiver Prozess. Zeit kann mal schnell vergehen, mal zähflüssig sein. Auch wenn der Raum dreidimensional bleibt, bleibt es die eigene (nicht immer bewusste) Entscheidung, was ich in den Vordergrund meiner Aufmerksamkeit lasse.

Wahrnehmung ist also durch die Lenkung der Aufmerksamkeit modulierbar. In welche Richtung antizipiere ich eine Bewegung oder „Wohin geht das Ki?“ Konzentriere und fixiere ich meine Aufmerksamkeit oder kann ich „defokussiert“ wahrnehmen? Ändert sich dadurch nicht auch die Wahrnehmung des Zeitflusses? Sehe ich den leeren Raum als etwas, in dem in allernächster Zukunft, jetzt gleich, etwas geschehen wird? Erhelle ich den Raum durch ein Spotlight oder ein Licht, das in alle Richtungen geht? Zu guter Letzt: Geht nicht auch beides gleichzeitig? Suchscheinwerfer bei hellem Hintergrund?