von Iris Scanlon
Fudoshin und Zanshin sind zwei Prinzipien oder auch Konzepte, die den Kampfkünsten zugrunde liegen. Erfahrbar und sichtbar werden sie im Aikido z.B. in den Tsuzukiwaza.
Tsuzukiwaza bedeutet: Technique in continuation, also Techniken in fortlaufender Form oder in fortführender Form, in aufeinander aufbauender Form. D.h., dass nicht so sehr die Technik im Vordergrund steht, sondern das, was es miteinander verbindet. Der Aikidoka, der eine Tsuzukiwaza ausführt, sollte auf einer gewissen Ebene so fortgeschritten sein, dass die Technik schon beherrscht wird. Es ist also keine Technikübung, sondern man geht davon aus, dass die Techniken bekannt sind und man die auch schon weitgehend beherrscht. Und der nächste Schritt ist dann, diese Techniken zusammenzuführen.
Man kann eine Tsuzukiwaza z.B. mit Musik vergleichen. Eine Technik könnte sowas wie eine einzelne Note sein und die Tsuzukiwaza ist wie eine ganze Melodie. Es leuchtet auch sofort ein, was dieses Beispiel klar macht: Wenn man einen einzelnen Ton hört, steht der immer für sich alleine und hat dann keine Verbindung mit etwas anderem. Wenn man die Töne miteinander verbindet, entsteht eine Melodie und eine Melodie hat Ki, hat eine Aussage, bewegt etwas in uns, sagt uns etwas, regt unsere Fantasie an. Und so ist das mit einer Tsuzukiwaza auch. Die Darstellung von Angriff und Verteidigung, die in einer Tsuzukiwaza von den Aikidoka ausgeführt wird, soll etwas aussagen. Es soll Harmonie zu spüren sein und Ki. Aber jeder, der eine Tsuzukiwaza macht, macht sie auf seine ganz persönliche Art und Weise, so wie jeder auch auf seine persönliche Art und Weise Musik macht, selbst wenn man das gleiche Musikstück spielt.
Was hat Zanshin und Fudoshin damit zu tun? Beide beinhalten den Begriff „shin“. Das bedeutet Geist, aber auch Herz und auch Körper. Hier ist, so wie ich das verstehe, eher der Geist gemeint oder eine Geisteshaltung.
Fudoshin bedeutet „unbeweglicher Geist“. Und zwar nicht der starre Geist, der sich nicht bewegen kann. Im Gegenteil. Man sagt, Fudoshin bewegt sich so schnell, dass man die Bewegung nicht mehr sieht, aber durchaus wahrnehmen kann. Der unbewegliche Geist ist eine Geisteshaltung, die z.B. in der Tsuzukiwaza schon präsent ist, wenn man aufsteht und sich vor seinem Partner verbeugt. Eine mentaler Zustand, der bis zum Ende der Begegnung, bis zu Abschlussvorbeugung aufrechterhalten wird. Man bleibt unbeweglich in dem Sinne, dass man sich nicht aus der Ruhe bringen und alles auf sich zukommen lässt. Unbeweglich im Fokus und der friedlichen Absicht des Aiki. Unerschütterlich für alles offen sein mit völlig ungehindertem Gewahrsein. Das ist die Haltung von Fudoshin. Wenn man vom Kampfaspekt ausgeht, wird auch gesagt: Fudoshin ist die Geisteshaltung, die deeskaliert. Strahlt man Fudoshin aus, ist die Wahrscheinlichkeit angegriffen zu werden gering, weil keine Angriffsfläche da ist. Es ist eine starke, große, offene Aufmerksamkeit für alles, was kommt.
Im japanischen Buddhismus gibt es eine Wächter-Gottheit, namens Fudō Myō-ō. Sie wird dargestellt mit einem Schwert und einem Tau in der Hand. Das Schwert symbolisiert die Weisheit – es durchschneidet die Unwissenheit. Weise mit dem Schwert umzugehen, ist für einen Kampfkünstler wichtig. Und das Tau symbolisiert Mitgefühl. Also jemand, der Schwertmeister ist, braucht auch Mitgefühl. Diese beiden Eigenschaften treten dann in der Geisteshaltung des Fudoshin zutage.
Während Fudoshin eine Beziehung, eine Qualität zum eigenen Selbst beschreibt, ist hingegen Zanshin eine Fähigkeit des Geistes, die in einer Beziehung zum Partner angewandt wird. Während des direkten Kontaktes mit dem Partner und hauptsächlich im Anschluss an die Technik oder zwischen den Techniken. Es bedeutet: „der gesammelte Geist“, „der ausgestreckte Geist“ oder „der verbleibende Geist“. Wenn Nage den Partner wirft, geht das Ki die ganze Zeit mit – während er rollt, bis er aufsteht und wieder auf Nage zukommt. Auch dann, wenn kein Körperkontakt mehr besteht. Es beschreibt einen Zustand des Geistes, der im Laufe einer Auseinandersetzung weder endet noch beginnt. Zanshin meint eine Begleitung des Anderen, bei der man über die Technik in der Tsuzukiwaza hinaus mit dem Partner eine Beziehung eingeht, eine Art friedlicher Tanz. Eine innere Haltung, die den Aikidoka befähigt, die Beziehung zum Partner in der Tsuzukiwaza während der ganzen sieben Techniken aufrecht zu erhalten und nicht abzubrechen.
So wie man Töne miteinander verbindet, wenn man eine Melodie spielen will und so wie die Pausen in einer Melodie am Ende die Schönheit der Musik ausmachen.